Erst vor vier Monaten, am 5.3.08, ist durch ein Dekret der Klerus-Kongregation der Skandal um Bischof Krenn und das Priesterseminar in St. Pölten formal beendet worden. Im Verlauf dieses Skandals trat Bischof Krenn auf Aufforderung Roms zurück, und Bischof Klaus Küng wurde als Bischof in St. Pölten eingesetzt. Die Leiter des Priesterseminars Ulrich Küchl und Wolfgang Rothe hatten ihren Posten verloren. Das Zentrum der Vorwürfe bestand in der von den Medien verbreiteten Annahme, am Priesterseminar habe es einen Sexskandal gegeben. Als Beweismittel wurden Porno-Dateien und Fotos von einer Weihnachtsfeier vorgelegt, bei der es Umarmungen und angeblich Zungenküsse unter den männlichen Beteiligten inklusive Seminarleitung gegeben haben soll. Rom handelte schnell und schaffte, wie es schien, die Sache aus der Welt. – Reinhard Dörner, landesweit angesehener Vorsitzender des "Zusammenschlusses papsttreuer Vereinigungen e.V." hat sich in einem von ihm herausgegebenen Sammelband des Skandals erneut angenommen und vertritt darin die auch von den Autoren des Bandes geteilte Meinung, Bischof Krenn und insbesondere den beteiligten Regenten des Priesterseminars und den betroffenen Priesterstudenten sei Unrecht widerfahren. In seinem Nachwort äußert Dörner Kritik am Zustandekommen der römischen Entscheidung. Auch Bischof Klaus Küng, der zunächst apostolischer Visitator in St. Pölten, dann der neue Bischof wurde, habe nichts stets untadelig gehandelt. Daher besteht also aus der Sicht Dörners ein Defizit an Gerechtigkeit, das sein Buch einfordern möchte.
Der Rezensent ist nun kein Spezialist für niederösterreichische Kirchengeschichte der Gegenwart und wird sich vor der Anmaßung hüten, gegenüber irgendjemandem hier etwas oder - nach Professorenart - gar alles besser wissen zu wollen. Als Historiker möchte ich lediglich die Absicht des Buches darstellen. Aus der Kirchengeschichte weiß ich: Es kann sein, daß es besonders in Krisenzeiten nicht die schlechtesten Christen waren, die hart mit den Autoritäten der Kirche ins Gericht gingen. Unter meinen Büchern befindet sich nicht nur ein Exemplar der Visionen der hl. Brigitta von Schweden, die sehr autoritätskritisch war und gerade deshalb zur Heiligen wurde, sondern auch eine Ausgabe des Onus ecclesiae, das wohl der Bischof von Chiemsee, Berthold Pürstinger 1519 verfaßt hat und das in meiner Ausgabe von 1531 ein Haus mit brennendem Dach zeigt - ein Bild der Kirche. Dabei waren Pürstingers Papsttreue und Liebe zur Kirche ohne Tadel, wie seine antireformatorische Schrift "Tewtsche Theologie" von 1528 zeigt. - Es könnte ja unter Umständen so sein, daß kritische und zugleich papsttreue Texte auch heute am Ende den Dachstuhlbrand der Kirche zu löschen helfen. Jedenfalls ist es der falsche Weg, ausgerechnet Herrn Dörner a priori schismatische Grundhaltung (!) oder eine "indiskrete Phantasie" zu unterstellen. Und wenn ein Rezensent halb spöttisch und halb ungläubig zu diesem Buch fragt "cui bono", so wird man sich auch hier hüten müssen, Dörner nur wegen seines Mutes vorweg zu verurteilen. Denn natürlich geht es um Liebe zur Kirche, die viel wagt. Dem schwerkranken Bischof Krenn wird man nicht mehr helfen können, für die beiden ehemaligen Regenten des Priesterseminars sollte man beten. Aber man darf auch sagen, wo einen der Schuh drückt und wo man den Verdacht nicht los wird, daß Unrecht geschehen sei. In China dürfen das die Menschen nicht, hierzulande aber wohl, selbst im 16. Jahrhundert schon.
Die Sache ist delikat und prekär zugleich. Aber es ist zweifellos interessant, und das war es auch schon zu Lebzeiten des Skandals, die Techniken der medialen Zerstörung von Biographien zu verfolgen. Das über den St. Pöltener Skandal weit hinausgehende Hauptstück des Buches (S.51-101) ist eine Analyse des Verhaltens der Medien in der St.Pöltener Geschichte aus der Hand von Gabriele Waste. Denn die Grunddaten des Skandals waren so ideal für die Medien, daß man, selbst wenn sie alle genauso bestanden haben, wie es die Medien sagen, sie nicht besser hätte erfinden können: Ein papsttreuer, konservativer Bischof, schon in sich ein unmögliches Ärgernis, und ein Sexskandal im Priesterseminar. Die Wortbildung kann man sich doch als neuzeitlicher Journalist nur auf der Zunge zergehen lassen: "Sexskandal im Priesterseminar". Das bedient alle Gelüste.
Was braucht es also mehr? Diese Konstellation ist schon rein theoretisch so ideal, daß man in der Tat Verdacht schöpfen muß, daß hier das Verhältnis von Dichtung und Wahrheit über das Maß gelitten haben könnte. Wie gesagt, ich weiß es nicht. Aber die Mechanismen der medialen Inszenierung haben so hundertprozentig gewirkt, daß ich sie wirklich nur mit Wahlergebnissen in Chinas Demokratie vergleichen kann, in der immer 99,99 Prozent auf der richtigen Linie liegen. So muß geradezu ein Verdacht entstehen. Es ist das Anliegen von Frau Waste, dieses Medienverhalten nach den Regeln der Analyse und Phänomenologie auseinander zu nehmen. Daß in Mitteleuropa jeder Episkopat auf ein mediales Kesseltreiben extrem furchtsam reagiert, ist gut bekannt. Weit über den Skandal von St. Pölten hinaus beschreibt daher dieses Buch eine offene Wunde. Auch hier gerät der Leser immer wieder in die Versuchung, dem Herausgeber und seinen Autoren einen Vorschuß an Vertrauen zu gewähren. - So ist dieses Buch in vieler Hinsicht anstößig. Zumindest ist es gut, einen Verdacht nicht unter der Decke schmoren zu lassen, sondern offen zu sagen. Das Beste, was nun geschehen könnte, wäre, daß sich "jemand" um die entlassenen Regenten kümmert. Denn sollten sie wirklich nicht nur unschuldig, sondern auch untadelig sein, dürften sie nicht weiter im Regen stehen. Und sollten sie schuldig und tadelnswert sein, gälte auf anderer Ebene dasselbe. Die Kirche hat im Laufe der Geschichte hinreichend Methoden der Rehabilitierung entwickelt. Nur mulmige Verdächtigungen und trübe Ressentiments ungeklärt stehen zu lassen, ist nicht ihre Art, und das ist auch nach diesem Buch nicht mehr leicht möglich.
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