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Umgehung des Rechts durch die Römische Kurie


Die Römische Kurie hat am 4. Februar 1992, endgültig bestätigt am 30. April 1999, das sogenannte Regolamento generale della Curia Romana erlassen. Unterschrieben und promulgiert ist es von Kardinal Angelo Sodano, dem damaligen Staatssekretär seiner Heiligkeit, Papst Johannes Paul II.

Der Art. 126 regelt in vier Paragraphen administrative Akte, die nicht vom Codex Iuris Canonici (CIC), dem kirchlichen Gesetzbuch, erfaßt werden bzw. die außerhalb des CIC entschieden werden unter Umgehung des kanonischen Rechtes. Das Wichtigste sei kurz referiert: Wer "den Heiligen Vater um Approbation in forma specifica" bittet, "muß dazu einen schriftlichen Antrag stellen unter Nennung der Gründe und Vorlage des endgültigen Textentwurfs. Wenn im Verfahren teilweise Außerkraftsetzungen des geltenden Rechtes vorliegen, müssen diese angegeben und beschrieben werden." (§1)

"Ein ähnlicher Antrag muß gestellt werden, wenn ein Dikasterium (svw. Ministerium des Papstes) es für zweckmäßig hält, den Heiligen Vater um ein besonderes Mandat zu ersuchen, um ein Verfahren auf eine andere Weise als die vom Recht festgesetzte abzuwickeln." (§2)

§3 regelt die Einsichtnahme des Aktenmaterials durch den Heiligen Vater, das ihm zur Prüfung überlassen werden muß.

§4 betont, daß ein Fall nur dann in forma specifica abgeschlossen ist, wenn dies auch in dem betreffenden Fall/Dekret ausdrücklich erklärt ist/wird. (Private Übersetzung; Fettdruck d.d.Autor).

Art. 126 des Regolamento verweist also ausdrücklich auf die Möglichkeit, daß geltendes kanonisches Recht während eines laufenden Verfahrens außer Kraft gesetzt oder geändert werden kann. Es wird dabei nicht bekannt gegeben, wer Antragsteller ist und welche Absichten er damit verfolgt, eine Causa in forma specifica zu beenden. Eine Entscheidung, wann immer sie erfolgt, den Art. 126 anzuwenden, erfolgt nicht aus der Unmöglichkeit, Recht anzuwenden, sondern aus der Absicht, eine widerrechtliche Entscheidung mit einem scheinrechtlichen Charakter zu "legitimieren".

Außer der Tatsache, daß eine Angelegenheit den Vermerk in forma specifica tragen muß, gibt es keine Sicherheit dafür, daß der Papst die Entscheidung dieser Angelegenheit wirklich zustimmend zur Kenntnis genommen hat, geschweige denn, daß er unterschreibt bzw. unterschrieben hat. Ein mit Aktenbergen überhäufter Papst verläßt sich und muß sich auf das Urteil des zuständigen Sachbearbeiters verlassen (können). Dies bedarf keiner näheren Begründung.

Wer wollte bezweifeln, daß es interessierten hohen kirchlichen Kreisen möglich ist, diesen Sonderweg zur Durchsetzung kirchenpolitischer Maßnahmen zu beschreiten. Die Römische Kurie kann also unter Berufung auf eine Zustimmung des Papstes Gesetze nach Belieben außer Kraft setzen, und das sogar rückwirkend. Dies untergräbt die Rechtssicherheit und stellt einen schweren Verstoß gegen Recht und Gerechtigkeit dar. Es gibt damit also keine verläßliche Rechtsordnung in der Kirche, weil jeder Beklagte damit rechnen muß, daß er sich nicht mit Aussicht auf Rehabilitierung auf der Grundlage des CIC an die zuständige Römische Kurie wenden kann. Die Entscheidung in forma specifica nimmt also jedem, den sie trifft, das Recht, sich zur Rechtswahrung an das päpstliche Verwaltungsgericht (Apostolische Signatur) zu wenden. Diese Verfahrensweise erinnert makaber an das "Ermächtigungsgesetz" Hitlers von 1933.

Die Entscheidung gegen die mit dem Vorwurf des "Sexskandals" belasteten Priester des Bistums St. Pölten "in forma specifica" ist daher z.B. eine solche Aushebelung des CIC. Obwohl es klare juristische Zuständigkeiten gab, wurden die Dekrete Bischof Küngs gegen die beiden Priester nicht auf ihre juristische Stichhaltigkeit geprüft und - wie eigentlich erforderlich - in der Sache entschieden. Statt dessen sparte man sich die juristische Prüfung des mehrere tausend Seiten umfassenden Aktenmaterials und wies die Rekurse der beiden Priester in forma specifica zurück.

Das Dekret in forma specifica ist darüber hinaus ein Akt gegen den Papst, da man seitens interessierter Kreise den päpstlichen Jurisdiktionsprimat instrumentalisieren kann und die Unfehlbarkeit des Papstes mit dessen Aura verwechselt. Indem man behauptet, daß das Dekret vom Papst bestätigt ist, ihn aber nicht unterschreiben (!) läßt und er laut Regolamento auch nicht unterschreiben muß, umgibt man sich selbst mit dieser Aura der Unfehlbarkeit und zieht sich aus der Verantwortung, die so dem Papst zugeschoben wird.

Der Papst ist der oberste Gesetzgeber des positiven kirchlichen Rechts, allerdings ist auch er an göttliches Recht - einschließlich des Naturrechts - gebunden. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, daß das (Natur-)Recht der personalen Würde des einzelnen Menschen, wozu das Recht der Unantastbarkeit der Unbescholtenheit und die Unschuldsvermutung gehört, mit einem Artikel des Regolamento außer Kraft gesetzt werden kann. In einem solchen Falle hätte der Papst gegen das Naturrecht verstoßen.

© Reinhard Dörner

  

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