Kardinal-von-Galen-Kreis e.V.
Die einschlägigen Normen dieses kurialen Verwaltungsrechtes werden an den theologischen Fakultäten und Priesterseminaren erstaunlicher Weise so gut wie nicht behandelt.
Ein Student der Salzburger Universität stellte aufgrund seiner Suche dananch fest: "... nicht einmal das CIC-Institut hier hat den Kommentar zum Regolamento generale della Curia Romana. Anscheinend gibts den nur in Italien direkt zu kaufen."
Soweit in Erfahrung zu bringen war, gibt es einen kommentierten (italienischen) Text des "Regolamento" in dem Sammelwerk "Commento alla 'Pastor bonus' e alle norme sussidiarie della Curia Romana", Hg. Pio Vito Pinto, Libreria Editrice Vaticana.
Darstellungen des einschlägigen Rechtsgebietes finden sich in:
Ulrich Mosiek, Das Verfassungsrecht der Lateinischen Kirche, Bd. I - III, Freiburg i. Br. 1975 - 1978.
Zur Vorgeschichte
Nachforschungen zum "Regolamento" führen zurück bis ins 19. Jahrhundert.
Wohl gab es damals auch schon eine Vielzahl rechtlicher Normen, die zum Teil einige Jahrhunderte zurückreichten (z.B. die Rechtssammlung "Dionysio-Hadriana" aus dem Jahr 774, das "Decretum Gratiani" (1140), die "Decretalen Gregor IX." u.a.), ein Rechtsbewusstsein im heutigen Sinn gab es nicht, schon gar nicht so etwas wie die heute allgemein anerkannte Menschenrechtsdeklaration.
Man war der Ansicht, dass die Kirche ohnehin im Besitz des Göttlichen Gesetzes sei und die Gerechtigkeit von der Kirche als der "societas perfecta" ("vollkommene Gesellschaft") am besten verwaltet werde, ohne auf weltliche Rechtsprinzipien Rücksicht nehmen zu müssen.
In diesem Sinne hatte Papst Pius IX. 1871 das Päpstliche Tribunal "Sacra Rota Romana" aufgelöst und dessen Gerichtsbefugnisse auf die einzelnen Verwaltungsbehörden der Päpstlichen Kurie aufgeteilt. Diese Gewaltenkumulation von Rechtsprechung und Verwaltung hatte sich dann offensichtlich nicht bewährt.
Denn Papst Pius X. hat mit der Neuerrichtung der Rota Romana begonnen, richterliche und administrative Gewalten wieder zu trennen.
Die Römische Kurie besteht seither einerseits aus dem Staatsekretariat, den Kongregationen und anderen administrativen Einrichtungen, und andrerseits aus den Päpstlichen Gerichtshöfen. Für alle diese Kurienbehörden wird der Sammelbegriff "Dikasterien" verwendet.
Papst Pius XII. kannte aus eigener Erfahrung die Verselbständigungstendenzen der Kurie und war als Papst vorsichtshalber sein eigener Kardinalstaatssekretär.
Aber selbst diese Vorsichtsmaßnahme konnte ihn nicht vor den kirchenpolitischen Eigenmächtigkeiten des damaligen Kurienbeamten Substitut Mons. Giovanni Battista Montini (dem späteren Papst Paul VI.) schützen.
Zur Entstehung
Die eigentliche Entstehungsgeschichte des "Regolamento" beginnt 1967.
Am 15. August 1967 hat Papst Paul VI. im Zuge der Kurienreform mit der Apostolischen Konstitution "Regimini Ecclesiae universalis" ('REU'; promulgiert in: "Acta Apostolicae Sedis" ['AAS'] 59, 885 - 928), das in seinen Grundzügen heute noch gültige Gesetz zur Ordnung der Päpstlichen Kurie erlassen.
Zu diesem Gesetz erschienen jedoch in der Folgezeit zahlreiche Durchführungsbestimmungen und Änderungen, zum Beispiel die drei Geschäftsordnungen ("Regolamento") für die Kurie oder die Abschaffung der "Apostolischen Kanzlei".
Eine der ersten dieser Durchführungsbestimmungen war das (erste) "Regolamento Generale della Curia Romana" vom 22. Februar 1968 (in: AAS 60, 129 - 176).
Da die Problemkreise Recht, Gerechtigkeit und Gewaltentrennung in der Kirche immer dringlicher geworden waren, versuchte schon Papst Paul VI. hier Abhilfe zu schaffen.
Aber erst Papst Johannes Paul II. konnte schließlich am 25. Januar 1983 ein neues Kirchliches Gesetzbuch, den "Codex Iuris Canonici 1983", promulgieren.
Ein geplantes Verfassungsrecht der Kirche sowie grundlegende Normen des Verwaltungsrechtes (einschließlich einer Geschäftsordnung der Kurie) enthält aber auch der neue "Codex Iuris Canonici" nicht.
In seinem Promulgationsdokument zum Codex schreibt der Papst:
". . . der Codex Iuris Canonici wird in der Tat von der Kirche dringend benötigt, ... damit die gegenseitigen Beziehungen der Gläubigen in einer auf Liebe fußenden Gerechtigkeit gestaltet werden, wobei die Rechte der Einzelnen gewährleistet und festgesetzt sind ..."
Zwischen dem idealen Anspruch dieses Gesetzeswerkes und der praktizierten Wirklichkeit besteht jedoch eine bedauerlich große Differenz.
Um die noch immer bestehenden Probleme der kurialen Verwaltung zu lösen, hat schließlich Papst Johannes Paul II. mit der am 28. Juni 1988 erschienenen Apostolischen Konstitution "Pastor bonus" (in: AAS 80, 841 - 934) nochmals auf der Grundlage von "Regimini Ecclesiae universalis" eine allgemeine Kurienordnung erlassen, die sich am Kirchlichen Gesetzbuch (CIC) orientieren sollte.
In Artikel 15 von "Pastor bonus" heißt es deshalb:
"Die Angelegenheiten sind auf der Grundlage des Rechts, und zwar des universalen Rechts, wie auch des speziellen Rechts der Römischen Kurie und auch entsprechend den Rechtsnormen eines jeden Dikasteriums zu behandeln, jedoch stets in pastoraler Form und nach pastoralen Gesichtspunkten ..."
Papst Johannes Paul II. legte besonderen Wert auf eine strikte Gewaltentrennung von Gesetzgebung und Verwaltung. Daher bestimmt Art. 18 von "Pastor bonus":
"Die Dikasterien können weder Gesetze noch allgemeine Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, noch können sie Vorschriften des geltenden universalen Rechts ändern ..."
Der Kurie gelang es jedoch, diese Norm mit jenem kleinen Nebensatz auszuhöhlen, welcher später den bedauerlichsten Mißbräuchen Tür und Tor öffnete:
"... außer in einzelnen Fällen und mit besonderer Genehmigung des Papstes."
Zu "Pastor bonus" wurde am 4. Februar 1992 vom Staatssekretariat mit dem Dekret "La Costituzione Apostolica" das zweite "Regolamento Generale della Curia Romana" erlassen (in: AAS 84, 207 - 267). Die Geschäftsordnung von 1968 war damit aufgehoben.
Das Dekret wurde als "Rescriptum ex Audienza SS.mi" päpstlich approbiert. Eine Unterschrift des Papstes war gemäß den Gepflogenheiten der Kurie nicht erforderlich.
Die heute gültige Fassung
Schließlich erschien am 30. April 1999 unter dem Titel "Il 4 febbraio" das dritte "Regolamento Generale della Curia Romana" (in: AAS 1999, 629 - 699), in Kraft getreten am 1. Juli 1999, wodurch auch das Regolamento von 1992 außer Kraft gesetzt wurde.
Dieses Dekret wurde wiederum als "Rescriptum ex Audienza SS.mi" päpstlich approbiert und trägt die Unterschrift des damaligen Kardinalstaatssekretärs Angelo Sodano.
Mit diesem dritten Regolamento hatten sich die Machtbefugnisse der Kurie endgültig durchgesetzt.
Die Artikel 126 und 134 enthalten jene Bestimmungen, welche es der Kurie ermöglichen, nach Belieben und kirchenpolitischen Bedürfnissen Gesetze des "Codex Iuris Canonici" (CIC) außer Kraft zu setzen und jeden ordentlichen Rechtsweg zu umgehen.
Zwar müssen solche Maßnahmen unter Beilage aller betreffenden Akten dem Papst zur Approbation vorgelegt werden und anschließend den Vermerk "in forma specifica approbavit" erhalten.
In der Praxis ist der Papst jedoch nicht in der Lage, den regelmäßig umfangreichen Aktenbestand selbst zu prüfen, sondern muß sich auf das Urteil der Kurie verlassen, welche somit nach Gutdünken entscheiden kann und entscheidet.
In bestimmten kirchenpolitisch motivierten Fällen können diese rechtswidrigen Willkürmaßnahmen der Kurie zur sozialen und finanziellen Vernichtung von ungerecht Beschuldigten führen, wogegen dann kein Rechtsmittel mehr möglich ist.
Art. 134, § 4 des "Regolamento" bestimmt nämlich:
"Gegen einen Verwaltungsakt, der in forma specifica vom Papst approbiert wurde, ist kein Rekurs mehr möglich."
Die Folgen
Tatsächlich hat die Anwendung des Regolamento im vergangenen Jahrzehnt in einem konkreten Fall dazu geführt, dass eine nachweislich zu Unrecht erfolgte Bestrafung zweier Priester aus kirchenpolitischen Gründen und unter Außerkraftsetzung des Kirchenrechts in "forma specifica" bestätigt worden war. Die Folgen waren für die der Kirchenpolitik geopferten Priester katastrophal. Wenigstens wurde damit - wenn auch ungewollt - die Unschuld der beiden Priester bewiesen.
Schon die bloße Möglichkeit, während eines Verfahrens rückwirkend Gesetze zu ungunsten eines Beschwerdeführers außer Kraft setzen zu können, wie es das "Regolamento" vorsieht, untergräbt jede Rechtssicherheit in der Kirche, stellt einen Verstoß gegen das gottgegebene Naturrecht dar und verleugnet das Evangelium der Liebe, auf dem die Kirche aufgebaut ist.
Dieser ungeheuerliche Art. 126 des "Regolamento" rüttelt also an den Grundfesten der Kirche.
Man wird nicht umhin können, die Römische Kurie immer wieder auf ihren schweren Unrechtscharakter aufmerksam zu machen.
Noch so idealistische Erklärungen wie die Enzyklika Benedikt XVI. "Deus caritas est" werden angesichts der unverantwortlichen Verwaltungstätigkeit der Kurie wirkungslos bleiben müssen.
Vor den kritischen Blicken der heutigen Öffentlichkeit wird die Kirche mit einem in der zivilisierten Welt einmaligen Rechtsdefizit wie dem "Regolamento" nicht mehr glaubwürdig auftreten können.
A.N.
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